Sozialversicherungsrecht [30.04.2024]

Borreliose als Berufskrankheit bei einem Landwirt auf dem Altenteil

Nebenberuf schließt Borreliose als Berufskrankheit nicht aus

Borreliose kann auch bei einem Neben­erwerbs­landwirt oder einem Altenteiler als Berufskrankheit anerkannt werden. Dies hat das Sozialgericht München in einem Grundsatzurteil entschieden.

Der Kläger des Verfahrens hilft als Rentner regelmäßig im landwirtschaftlichen Betrieb seines Sohnes insbesondere bei der Heuernte sowie bei Wald- und Holzarbeiten mit. Dabei kommt es häufig zu Zeckenbissen. Beim Kläger war im Sommer 2022 eine akute Neuro-Borreliose festgestellt worden. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat die Anerkennung als Berufskrankheit mit der Begründung verweigert, dass beim Kläger keine erhöhte Infektionsgefahr durch die zeitlich begrenzte Mitarbeit bestünde. Bei einer Tätigkeit von nur 60 Tagen im Jahr überwiege das Risiko, sich im privaten Bereich zu infizieren.

Borrelieninfektion auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen

Der Kläger hat gegen diese Ablehnung das Sozialgericht München angerufen, das der Klage stattgegeben hat. Nach Auffassung des SG erhöht auch die im für eine Infektion maßgeblichen Zeitraum an nur wenigen Tagen ausgeübte Tätigkeit im Gras, Gestrüpp und Wald das Risiko einer Borrelieninfektion im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erheblich. Im privaten Bereich konnte das SG dagegen keine besondere Gefährdung erkennen. Das Infektionsrisiko, das sich beim Kläger verwirklich hatte, war folglich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen, auch wenn diese nur zeitweise ausgeführt wurde. Die Borreliose war daher als Berufskrankheit anzuerkennen, so das SG .

Sozialgericht München, ra-online (pm/ab)

Arbeitsrecht [30.04.2024]

Kündigung einer Professorin wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens rechtmäßig

Vorherige Abmahnung aufgrund der Schwere der Verletzung "in einem Kernbereich der Pflichten einer Professorin" nicht erforderlich

Das Arbeitsgericht Bonn hat die Klage einer angestellten Professorin der Universität Bonn gegen ihre Kündigung abgewiesen.

Die Klägerin war seit 2021 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses im Fachbereich Politikwissenschaften als Universitätsprofessorin tätig. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2023. Sie wirft der Klägerin vor, in insgesamt drei ihrer Publikationen die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis nicht eingehalten zu haben, indem sie jeweils an verschiedenen Stellen plagiiert habe. Die Klägerin bestreitet, dass sie in den drei Werken die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis habe einhalten müssen. Dies folge aus dem populärwissenschaftlichen Charakter der Werke. Zudem handele es sich bei den von der Beklagten monierten Stellen um bloße Zitierfehler. Sie erreichten in ihrer Anzahl kein erhebliches Maß. Der Klägerin sei auch im Rahmen des universitären Untersuchungsverfahrens keine hinreichende Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig, da die Beklagte eine Abmahnung als milderes Mittel hätte aussprechen können.

Unwissenschaftliches Verhalten rechtfertigt Kündigung

Das ArbG ist zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin jedenfalls in einer ihrer Publikationen, welche sie im Rahmen ihrer Bewerbung vorlegte, die Grundsätze der wissenschaftlichen Redlichkeit vorsätzlich nicht eingehalten hat. Die Vorlage eines solchen Werkes in einem Bewerbungsverfahren um einen universitären Lehrstuhl stelle eine wesentliche Pflichtverletzung der Klägerin im Rahmen des Arbeitsverhältnisses dar. Dies gelte zumindest dann, wenn dieses Werk – wie von der Klägerin – als zentraler Bestandteil in die Bewerbung eingebracht worden sei. Die Vorlage einer Publikation in einer solchem Bewerbungsverfahren enthalte die Erklärung, dass die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis eingehalten worden seien. Etwaige Fehler im Verfahren um die Ermittlungen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens führten nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Kündigung. Aufgrund der Schwere der Verletzung in einem Kernbereich der Pflichten einer Professorin komme eine vorherige Abmahnung als milderes Mittel ausnahmsweise nicht in Betracht. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Arbeitsgericht Bonn, ra-online (pm/ab)

Schadensersatzrecht [30.04.2024]

Dieselskandal: Kein Schadensersatz wegen unzulässiger Abschalt­einrichtungen

Kein Vermögensschaden entstanden

Im Streit um Schadensersatz wegen behaupteter Verwendung unzulässiger Abschalt­einrichtungen wies das Amtsgericht München eine Klage gegen einen Automobilhersteller auf Zahlung von 2.175 EUR ab.

Die Klägerin hatte im März 2016 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Pkw zu einem Bruttokaufpreis von 14.500 EUR gekauft. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor und wird von der Klägerin weiterhin genutzt. Der aktuelle Kilometerstand betrug nach Angaben der Klägerin 291.333 km. Die Klägerin behauptete, dass das Fahrzeug mehrere unzulässige und gesetzeswidrige Technologien (Abschalteinrichtungen) im Zusammenhang mit der Abgasrückführung und -nachbehandlung enthalte und machte einen Vermögensschaden in Höhe von 15 % des Kaufpreises geltend. Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerin habe schon nicht substantiiert vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Zudem sei ein vermeintlicher Differenzschaden jedenfalls wegen der erlangten Vorteile kompensiert.

Kein Vermögensschaden - kein Schadensersatzanspruch

Das Amtsgericht München wies die Klage ab. Die zulässige Klage ist bereits unschlüssig, da ein Schadensersatzanspruch der Klägerin daran scheitert, dass bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin kein Vermögensschaden in Betracht kommt. Ob das streitgegenständliche Fahrzeug tatsächlich über unzulässige Abschalteinrichtungen verfügt, kann daher dahinstehen. Ein Vermögensschaden des Käufers liegt in der hier gegebenen Konstellation vor, wenn der Vergleich, der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt. Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit einer etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat.

Geltend gemachte Schaden aufgezehrt: Nutzungsvorteil übersteigt Wert des Fahrzeugs bereits bei Kaufvertragsabschluss

Die Höhe eines etwaigen Schadens ist dabei gem. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu schätzen. Bei der in vorliegender Konstellation gebotenen Schätzung des Schadens innerhalb eines Rahmens zwischen 5 % und 15 % des Kaufpreises sind bei der Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Bei der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Nutzungsvorteile kann von folgender Berechnungsformel ausgegangen werden: Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) : erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt. Danach ist der von der Klägerin geltend gemachte Schaden aufgezehrt. Allein der Nutzungsvorteil übersteigt den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags bereits erheblich, so dass es auf den Restwert des Fahrzeugs, der ebenfalls noch zu berücksichtigen wäre, nicht mehr ankommt.

Amtsgericht München, ra-online (pm/ab)

Verwaltungsrecht [30.04.2024]

Zweit­wohnungs­steuer­satzungen der Gemeinden Timmendorfer Strand und Hohwacht sind unwirksam

Steuermaßstab stellt Verstoß gegen das Gebot der steuerlichen Belastungs­gleichheit dar

Der 6. Senat des Schleswig-Holsteinischen Ober­verwaltungs­gerichts hat gestern die Sat-zungen über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer in den Gemeinden Timmendorfer Strand und Hohwacht im Rahmen von Normen­kontroll­anträgen für unwirksam erklärt (Az. 6 KN 1/24 und 2/24).

Die Gemeinden hatten in die Satzungen aus dem Jahr 2020 bzw. 2021 einen neuen Steuermaßstab aufgenommen, nachdem das Oberverwaltungsgericht mit Urteilen vom 30. Januar 2019 den bis dahin verwendeten Steuermaßstab für verfassungswidrig erklärt hatte. Der neue Steuermaßstab orientiert sich maßgeblich an dem Lagewert, ergänzt um weitere Faktoren wie Größe und Alter der Zweitwohnung. Der Lagewert entspricht dem jeweiligen Bodenrichtwert des Grundstücks, auf dem sich die Zweitwohnung befindet.

Verstoß gegen das Gebot der steuerlichen Belastungsgleichheit

Auch dieser Maßstab verstößt nach Auffassung des OVG gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierende Gebot der steuerlichen Belastungsgleichheit. Mit der Heranziehung des in €/m² ausgedrückten reinen Bodenrichtwertes werde der Lagewert selbst maßstabsprägend, ohne dass er seinerseits den erforderlichen mindestens lockeren Bezug zu dem zu besteuernden Aufwand für das Innehaben einer Zweitwohnung aufweise. Das OVG hat sich damit der bereits vom VG vertretenen Auffassung angeschlossen.

Formeller Fehler in Timmendorfer Strand

Daneben beruht die Unwirksamkeit der Satzung der Gemeinde Timmendorfer Strand bereits auf einem formellen Fehler. Die Gemeindevertreter waren zu der Sitzung, in der die Satzung im Juni 2020 beschlossen wurde, nicht ordnungsgemäß geladen worden. Da ein Vertreter zu der Sitzung nicht erschienen war, war der Mangel nach der Geschäftsordnung der Gemeindevertretung auch nicht heilbar. Das OVG hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfragen zugelassen.

Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, ra-online (pm/ab)

Immobilienrecht / Wohneigentumsrecht [29.04.2024]

Ausgeschiedener Verwalter muss formal ordnungsgemäße Abrechnung nicht korrigieren

Korrektur durch neuen Verwalter möglich

Gegen den ausgeschiedenen Verwalter besteht kein Anspruch darauf, die formal ordnungsmäße Abrechnung zu korrigieren. Dies kann vielmehr der neue Verwalter übernehmen. Dies hat das Amtsgericht Berlin-Pankow entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Auf einer Eigentümerversammlung von Wohnungseigentümern in Berlin im Oktober 2023 wurde die Genehmigung der Jahresabrechnung 2021 wegen Fehler abgelehnt. Die Abrechnung wurde noch vom ausgeschiedenen Verwalter erstellt und war formal ordnungsgemäß. Die Wohnungseigentümergemeinschaft klagte gegen den alten Verwalter auf Korrektur der Jahresabrechnung.

Kein Anspruch auf Korrektur der Jahresabrechnung gegen alten Verwalter

Das Amtsgericht Berlin-Pankow entschied gegen die Klägerin. Ihr stehe gegen den Beklagten kein Anspruch auf Korrektur der Jahresabrechnung zu. Denn der Beklagte habe die Abrechnung formal ordnungsgemäß erstellt. Damit sei der Anspruch erfüllt. Mögliche Einwände gegen die Abrechnung können durch die neue Verwaltung korrigiert werden. Dazu sei die Mitwirkung des Beklagten nicht erforderlich.

Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
WEG-Verwalter haftet der Wohnungs­eigentümer­gemein­schaft für fehlerhafte Jahresabrechnungen (Landgericht Berlin, Hinweisbeschluss - 55 S 12/16 WEG -)

Amtsgericht Berlin-Pankow, ra-online (zt/GE 2024, 246/rb)

Wettbewerbsrecht [29.04.2024]

BGH: Klagebefugnis eines Wirtschaftsverbands bei Anschwärzung eines seiner Mitglieder

Anschwärzung muss sich aber gegen Mehrheit der Mitbewerber richten

Ein Wirtschaftsverband kann gegen eine Anschwärzung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG vorgehen, wenn sich diese nicht nur gegen einen der Mitbewerber richtet, sondern gegen die Mehrheit der Mitbewerber. Zudem muss zumindest einer der betroffenen Mitbewerber Mitglied des Verbands sein. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Firma zum Vertrieb von Raucherbedarfsartikel an Groß- und Einzelhändler veröffentlichte im Jahr 2018 auf ihrer Internetseite und auf Instagram ein Video, in dem sie Aussagen über Zigaretten-Eindrehpapier anderer Hersteller tätigte. Ein Fachverband, in dem Hersteller von Eindrehpapieren und -filtern für Zigaretten zusammengeschlossen waren, beanstandete die Aussagen und erhob daher Klage auf Unterlassung vor dem Landgericht Mönchengladbach. Die beklagte Firma hielt dies für unzulässig. Klagebefugt sei ihrer Meinung nach nur die von der Aussage betroffenen Mitbewerber. Sowohl das Landgericht Mönchengladbach als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf gaben der Unterlassungsklage statt. Dagegen richtete sich die Revision der Beklagten.

Fachverband zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs befugt

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Der Kläger sei gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG befugt, den Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Nicht nur die von einer möglichen Anschwärzung in ihrem individuellen Schutzinteresse betroffenen Mitbewerber seien klagebefugt. Vielmehr können auch Wirtschaftsverbände klagen, wenn sich die Anschwärzung auch gegen eine Mehrheit von Mitbewerbern richtet und zumindest einer der betroffenen Mitbewerber Mitglied im Verband ist. Dies folge nicht zuletzt daraus, dass der Tatbestand der Anschwärzung gemäß § 4 Nr. 2 UWG zwar vorrangig den betroffenen Mitbewerber vor unwahren geschäftsschädigenden Äußerungen bewahren soll, aber auch das Allgemeininteresse an einem unverfälschten Wettbewerb schützt.

Vorinstanzen:
Landgericht Mönchengladbach, Urteil v. 03.12.2021 - 8 O 8/20 -Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil v. 25.08.2022 - 15 U 42/22 -

Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

Sozialrecht [29.04.2024]

Jobcenter darf Geldgeschenk für Pilger-Reise auf Bürgergeld anrechnen

LSG bejahrt Anrechenbarkeit

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Berliner Jobcenter berechtigt war, ein Geldgeschenk als Einkommen bzw. Vermögen auf das Bürgergeld anzurechnen. Das Geldgeschenk in Höhe von 65.250,- € hatten die drei Leistungsempfänger von ihrer Nachbarin erhalten, um nach Mekka reisen zu können. Im konkreten Fall hat das LSG die Frage der Anrechenbarkeit bejaht.

Die Kläger – Vater, Mutter und ihr minderjähriger Sohn – leben in einer gemeinsamen Wohnung im Norden von Berlin. Sie bezogen vom Jobcenter unter anderem von Juni 2018 bis einschließlich Dezember 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bezeichnung seit Januar 2023: Bürgergeld) nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). In eben diesem Zeitraum gewährte ihnen das Jobcenter Leistungen in Höhe von insgesamt rund 22.600,- €. Die Mutter kümmerte sich regelmäßig um die Nachbarin der Familie – die pflegebedürftig war. Die inzwischen verstorbene Nachbarin überwies Anfang Mai 2018 einen Betrag in Höhe von 65.250,- € auf das Konto der Mutter. Wie Frau R. später angab, handelte es sich hierbei um ein Geschenk, das dazu dienen sollte, den Klägern den lang gehegten Wunsch einer Reise nach Mekka zu ermöglichen. Die Kläger informierten das Jobcenter nicht über die Geldzuwendung; stattdessen wurde der Betrag noch im selben Monat vom Konto abgehoben. Nachdem das Jobcenter von der Schenkung Wind bekommen hatte, nahm es sämtliche Bewilligungsbescheide für die Zeit nach der Schenkung zurück und verlangte rund 22.600 Euro. Das Jobcenter argumentierte, dass die Kläger im genannten Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen seien. Die hiergegen gerichtete Klage der Familie vor dem SG Berlin blieb ohne Erfolg. Gegen das Urteil des SG Berlin legten die Kläger Berufung zum LSG ein. Sie machten geltend, dass es sich um eine zweckgebundene Schenkung gehandelt habe, die sie von der Nachbarin. als Dank für die jahrelange liebevolle Pflege erhalten hätten. Das Geld hätten sie bestimmungsgemäß verwendet. Die Reise nach Mekka, die sie zu fünft (die drei Kläger sowie zwei weitere Personen) angetretenen hätten, habe sie insgesamt rund 55.600,- € gekostet. Belege zu ihrer Reise könnten sie allerdings nicht vorlegen. Alles sei, wie es der Üblichkeit entspreche, in bar ohne Quittung bezahlt worden.

Geldgeschenk auf Bürgergeld anrechenbar

Das LSG hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen und damit die erstinstanzliche Entscheidung des SG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Jobcenters rechtmäßig seien. Die Kläger seien im streitigen Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es für sie grob unbillig wäre, wenn die von der Nachbarin gewährte freiwillige Zuwendung als Einkommen berücksichtigt werde. Bezieher von Bürgergeld seien grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen der Selbsthilfe jegliche Einnahmen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu verwenden.

Nur Teilbetrag von Anrechnung ausgenommen

Anders verhalte es sich zwar in Fällen, in denen – wie hier – eine Geldzuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft sei, dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde. Indes seien auch solche Geldzuwendungen nicht in unbegrenzter Höhe privilegiert. Obergrenze für die Nichtberücksichtigung derartiger Zuwendungen seien nach den Gesetzgebungsmaterialien die geltenden Vermögensfreibeträge, die im damaligen Zeitraum für die Kläger insgesamt 16.500,- € betragen hätten. Der Restbetrag in Höhe von 48.750,- € reiche zur Bedarfsdeckung aus. Schließlich sei nicht von einem zwischenzeitlichen Verbrauch der Mittel auszugehen.

Nachweise zum Verbrauch des Geldes fehlen

Klägern vorgetragene Behauptung, insgesamt rund 55.600,- € für die Reise nach Mekka ausgegeben zu haben, sei nicht belegt. Es widerspreche der Lebenserfahrung, eine Flugreise mit Kosten von mehr als 5.000,- € in bar zu bezahlen. Auch fehlten jegliche Angaben zum Zeitpunkt der Reise, die neben Flugtickets und Belegen über Hotelübernachtungen zum Beispiel auch durch Ein- und Ausreisestempel im Reisepass belegbar wären. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Die unterlegenen Kläger können beim Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, ra-online (pm/ab)

Verwaltungsrecht [29.04.2024]

Keine Verpflichtung einer Kommune zur Fortführung eines Großmarkts

Auflösung des Großmarkts durch Änderungssatzung von der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung gedeckt

Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung verpflichtet eine Kommune nicht, einen als öffentliche Einrichtung betriebenen Großmarkt fortzuführen. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Die Antragsgegnerin betreibt seit über 86 Jahren einen Großmarkt als öffentliche Einrichtung. Rechtsgrundlage ist eine von ihr erlassene Großmarktsatzung. Auf dem Großmarkt bieten mehr als 100 Händler, darunter die Antragstellerin, überwiegend Obst und Gemüse zum gewerblichen Weiterverkauf an. Nach mehrjährigen Diskussionen mit den beteiligten Akteuren entschied die Antragsgegnerin, den Großmarkt aufzulösen. Am 1. Juli 2021 beschloss ihr Rat die entsprechende Satzungsänderung mit Wirkung zum 31. Dezember 2024. Den dagegen gerichteten Normenkontrollantrag der Antragstellerin hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Die Auflösung des Großmarkts durch die Änderungssatzung sei von der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung gedeckt. Eine Pflicht zum Weiterbetrieb des Großmarkts ergebe sich weder aus dem nordrhein-westfälischen Landesrecht noch aus dem Grundgesetz.

Satzung über die Auflösung des Großmarkts wirksam

Die Revision der Antragstellerin ist erfolglos geblieben. Das OVG hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Satzung der Antragsgegnerin über die Auflösung des Großmarkts wirksam ist. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört kein bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog. Die Gemeinden haben vielmehr die Befugnis, sich grundsätzlich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. Im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltung umfasst dies zugleich das Recht, eine Aufgabe nicht zu übernehmen oder eine einmal übernommene Aufgabe wieder aufzugeben. Soweit der Senat im Urteil vom 27. Mai 2009 - 8 C 10.08 - unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung einer Kommune zur Fortführung einer einmal übernommenen freiwilligen Selbstverwaltungsaufgabe angenommen hat, hält er hieran nicht fest.

Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

Dieser Service wird unterstützt von ra-newsflash.